Das Streben nach möglichst lauten Musikproduktionen ist so alt wie die Tontechnik selbst. Bereits 1897, als Emil Berliner mit der Schellackplatte den Grundstein für die Massenproduktion von Musik legte, präferierte man Aufnahmen besonders lauter Künstler (z.B. den Opernsänger Enrico Caruso), die sich deutlich vom unvermeidbaren Grundrauschen und Knacksen abheben konnten.
Nachfolgende Entwicklungen wie die Vinyl und Aufnahmetechniken per Mikrofon erhöhten ab 1925 zwar den Signal-Rauschabstand und die allgemeine Qualität, jedoch blieb das Ergebnis weiterhin verbesserungswürdig. Jede Möglichkeit den Input vor der Aufzeichnung zu optimieren wurde genutzt und so fanden Equalizer, Kompressoren und andere Tools schnell ihren dauerhaften Einsatz in der Signalkette.
Die Jukebox ist schuld
Die zunächst aus technischen Gründen sinnvollen Klangbearbeitungen wurden bald zweckentfremdet und auf ein Maximum optimiert. Auslöser war unter anderem die Jukebox, die in der Mitte des letzten Jahrhunderts zahlreiche Kneipen und Tanzkaffees bevölkerte. Jeder, mit ein paar Pennies in der Tasche, konnte sich für wenige Minuten als DJ fühlen und wählte dabei bevorzugt jene Lieder, die sich am besten über das “Grundrauschen” des allgemeinen Gemurmels und Lärms im Raum hinwegsetzten. Für Künstler und Plattenfirmen lag es nahe, besonders laute Platten, oder zumindest lautere als die der Konkurrenz auf den Markt zu bringen.
Zum Glück limitierte die damals verfügbare Technik, als auch die Schallplatte selbst den Lautheitswahn auf ein erträgliches Maß, der verbleibende Dynamikumfang unterschritt nur selten den zweistelligen Bereich.
Das Radio ist schuld
Eine gewisse Mittäterschaft ist auch dem Radio zuzuschreiben. In der Hoffnung und irrtümlichen Annahme, dass die Hörer beim Durchzappen den lautesten Sender bevorzugen, wurde das Material vor der Ausstrahlung nochmals ordentlich durch Signalprozessoren aufgepeppt. Etwas Multiband-Kompression, dazu Look-Ahead-Limiting und schon erklingen die Beatles von 1960 in derselben Lautstärke wie die aktuelle Rockproduktion. In einem direkten Vergleich erklang damit die „Radio-Version“ sogar gefühlt besser als die Originalaufnahme. Zu den bekanntesten Geräten gehört die seit 1975 verfügbare Optimod-Serie aus dem Haus Orban. Ob schwerhörige Omas den lauten HipHop Sender anstelle leiser Heimatmelodien bevorzugen, wurde jedoch nie wissenschaftlich belegt …
Die neue Freiheit
Über 50 Jahre lang blieben Schallplatten und später zusätzlich Kompaktkassetten die einzigen Möglichkeiten Musik massenhaft zu vervielfältigen, lagen dabei jedoch stets hinter der Qualität der Originalaufnahmen auf Studio-Tonbänder zurück.
The very nature of analogue recordings being transferred to vinyl demanded major compromises. With the benefits of digital sound these constraints are removed, and the recordings can be heard much closer to the reproduction we had originally intended
Gus Dudgeon, Produzent von Elton John
Erst eine kleine silberne Scheibe brachte 1982 frischen Wind und quasi über Nacht eine bis dahin ungeahnte Klangqualität in die heimischen Wohnzimmer. Dank des enormen Dynamikumfangs und des linearen Frequenzgangs waren Compact Discs in Bezug auf die Klangqualität dem damaligen Studioequipment mehr als ebenbürtig. Das hochwertige Mix-Master auf Tonband konnte ohne weitere Bearbeitung (Mastering) digitalisiert und verlustfrei Vervielfältigt werden.
In den Anfangsjahren wurde sich sogar für den ungewohnten Sound, sowie die hohe Auflösung und dadurch nun plötzlich hörbaren Defizite entschuldigt:
The music on this compact disc was originally recorded on analog equipment. We have attempted to preserve, as closely as possible, the sound of the original recording. Because of its high resolution, however, the Compact Disc can reveal limitations of the source tape
„Warnhinweis“ auf den ersten Audio CDs.
Das Unheil beginnt erneut
Alleine die Dynamik und Lautheit betrachtet, bilden die Audio CDs der ersten Jahre mit die besten jemals veröffentlichten Musikmedien. Der Klang beugt sich keinerlei technischen Notwendigkeiten oder Wünschen des Marketings, sondern entspringt ungefiltert den Vorstellungen des Mixdown Engineers.
Die frisch gewonnenen Freiheiten der digitalen Technik blieben jedoch nicht lange bestehen, denn nur weil ein Medium viel Nutzdynamik besitzt, muss man diese ja nicht auch ausschöpfen. Neue mächtige Werkzeuge erblickten das Licht der Welt und unter ihnen Tools die bisher ungeahnte Lautheit ermöglichten. Zunächst noch selten in Form sündhaft teurer Hardware wie dem TC M5000 Mainframe, später massenhaft als TC Finalizer oder umgesetzt als Plugin wie dem Waves L1.
Die einfache Anwendung sorgte zusammen mit der weiten Verbreitung und zunehmendem Konkurrenzdruck bereits ab 1985 zu immer lauteren Produktionen.
Dass dabei der Sound ab einer gewissen Grenze in Wahrheit schlechter wird, beweist unter anderem eine Magisterarbeit der TU Berlin“… Im Gegenteil: je lauter ein Mastering desto kleiner der Mittelwert für Gefallen und gute Klangqualität„.
Aussichtslose Lage
Leider ist die Aufklärungsarbeit ein Kampf gegen Windmühlen und Mastering Studios als „Wächter des guten Sounds“ sind am Ende gezwungen sich den Kundenentscheidungen zu beugen. Künstler möchten lautere Platten da die direkte Konkurrenz ebenfalls so laut ist, und Plattenfirmen glauben dass sich hohe Lautheit positiv auf die Kaufentscheidung auswirkt. Hat der Kunde nur ein begrenztes Budget und muss sich zwischen zwei Produkten entscheiden, wird er sich durch den im ersten Moment scheinbar „besseren Klang“ hoffentlich für das lautere Produkt begeistern können. Ob die Wahl zwischen Metal Album oder Akustik Jazz wirklich auf solchen Argumenten beruht, mag bezweifelt werden.
[cons-youtube id=“dcKDMBuGodU“]
Weitere Infos und Videos
- Großmeister Bob Katz über Loudness War: Video 1 – Video 2
- Ironisches Video „Clipping Death“ – Link
- Englische Seite zum Thema – Turnmeup.org
- Ein Video, welches das gesamte Thema zusammenfasst, findest du hier (AES November 2010) – Link
- Auch der Herr Tischmeyer hat ein paar interessante Worte zu diesem Thema – Link
- Sehr guter Artikel von SoundonSound zum Thema „Lautheit