Delay Line

In vielen Situationen lässt sich allein mit einer Hauptbeschallung, etwa den klassischen Boxentürmen oder abgehängten Line Arrays links und rechts neben der Bühne, nur ein suboptimales Ergebnis erreichen. Klingt es auf den ersten Metern noch laut und klar, nimmt die Lautstärke mit zunehmenden Abstand ab und das Signal verschwindet im diffusen Hallfeld.

Ähnliche Probleme entstehen in verwinkelten Räumlichkeiten oder bei der Beschallung von abgelegenen Nebenflächen, in denen der Direktschall kaum eine Chance hat die Ohren der Zuhörer zu treffen – frei nach dem Motto, kann man eine Box nicht sehen, kann man sie auch nicht hören.

Abhilfe schafft in diesen Fällen eine dezentrale Beschallung in Form zusätzlicher Lautsprecher um die toten Bereiche und akustischen Problemzonen abzudecken. Damit diese jedoch nicht als eigentliche Schallquelle oder störendes Echo wahrgenommen werden, muss die Wiedergabe entgegen der Main PA zeitlich korrekt verzögert werden.

Definition
Eine Delay Line bezeichnet Lautsprecher, die das Signal der Hauptbeschallung zeitverzögert wiedergeben und so für eine homogene und unterstützende Klangverteilung sorgen.

Vor- und Nachteile einer Delay Line

Zusätzliche Lautsprecher bedeuten natürlich zu nächst mehr Aufwand bei der Planung und Installation und damit erhöhte Kosten für Personal und Material. Doch wenn Delay Lines notwendig sind, sollte man dies nicht scheuen.

Im Gegenzug werden wir mit vielen positiven Auswirkungen belohnt:

  • Eine gleichmäßigere Beschallung mit homogener Pegelverteilung, es ist an der Bühnenkante ähnlich Laut wie in der letzten Reihe
  • Die Möglichkeit die Lautstärke der Hauptlautsprecher und damit die Gesamtlautstärke zu reduzieren (Stichwort Lärmschutz)
  • Eine verbesserte Verständlichkeit durch verringerten Raumanteil (Hall)

Wann kommt eine Delay Line zum Einsatz?

Brauchbare Faustformel wie „Stelle alle 15 Meter einen zusätzlichen Lautsprecher“ oder sonstig immer gültige Tipps gibt es bei Delay Lines leider nicht, dazu ist jede Beschallungssituation zu einzigartig.

Ist der Pegelverlust der Hauptbeschallung in einem bestimmten Bereich zu ausgeprägt oder droht das Verhältnis von Direktschall zu diffusem Schall ungünstig zu werden (Hallradius), können verzögerte Lautsprecher eine geeignete Gegenmaßnahme bilden.

Das genaue Wann, Wo und Wie lässt sich entweder (aufwendig) Simulieren oder Messen, eventuell bei der Planung im Software Editor der Lautsprecher erahnen oder am besten bei einer Vor-Ort-Begehung mit den eignen Ohren und Augen heraus finden. Mit der Zeit bildet sich so ein Bauchgefühl welcher Raum welches Setup benötigt.

Hinweise

Folgende Eigenschaften können auf die Notwendigkeit einer oder mehrere Delay Lines hinweisen:

  • Die Hauptlautsprecher sind von der Hörpostion aus nicht sichtbar
  • Die Location besitzt stark reflektierende Wände, zum Beispiel Fenster oder blanker Beton
  • Die Reichweite der Main PA wird durch eine geringe Decken- oder Aufbauhöhe eingeschränkt
  • Der Raum ist eher länglich / schlauchartig
  • Der Pegelabfall der Hauptbeschallung ist am Messpunkt zu hoch oder Umgebungsgeräusche überlagern das Signal zu stark
  • Das Gelände ist sehr weitläufig
  • Der zu beschallende Bereich überschreitet 15 Meter
  • Es handelt sich um eine Veranstaltung die besonders hohe Ansprüche an die Verständlichkeit stellt
  • Der Ton muss synchron zu verschiedenen Bildwänden sein
  • Die Backline ist so laut, dass die Main PA bereits eine Art erste Delay Line bilden muss

Beispiele

  • Delay Line Towers auf großen Festivals
  • Theater und Opernhäuser mit mehreren Ebenen, verschiedenen Nieschen, Balkonen und Rängen
  • Bier- und Partyzelte

Zeitverzögerung richtig einstellen

Für die korrekt Funktion einer Delay Line ist der Zeitversatz entgegen der Main PA (Nullzeit) der wichtigste Faktor. Ist dieser perfekt eingestellt, erhalten wir ein verbessertes Klangbild ohne die Hilfslautsprecher bewusst warzunehmen. Die Lokalisation der Schallquelle verbleibt auf der Bühne.

Ist die Verzögerung zu kurz übernimmt hingegen die Delay Line die Lokalisation und wirkt wie eine eigenständige Beschallung. Bei zu langen Zeiten bilden sich Echos.

Setup für Delay Lines
Setup für Delay Lines

Bewegung tut gut

In der einfachsten Version laufen wir die Distanz zwischen Main PA und Delay Line in möglichst gleichmäßigen Schritten ab. Da die durchschnittliche Schrittlänge zwischen 60 – 70 cm liegt und sich Schall bei Raumtemperatur 20°C etwa mit 3 ms pro Meter ausbreitet, können wir die Anzahl der Schritte mit 2 multiplizieren und erhalten so einen guten Startwert. Die entstandene Ungenauigkeit kompensieren wir anschließend nach Gehör.

Time Delay in Millisekunden = (Anzahl der Schritte) * 2

Messen

Deutlich genauer geht es natürlich mit einem Laser Entfernungsmesser, der generell in keinem Werkzeugkoffer fehlen sollte. Eine kurze Peilung vom Standplatz der Delay Line auf die Hauptlautsprecher und schon zeigt das Gerät den Abstand. Plus-Minus wenige Zentimeter spielen hier keine tragende Rolle. Das Messergebnis nehmen wir ebenfalls mal Drei.

Time Delay in Millisekunden = (Entfernung in Meter) * 3

Ist weiterhin ein Taschenrechner verfügbar (Smartphone?!), können wir die Genauigkeit noch etwas erhöhen und anstelle des gerundeten Wertes folgende Formel verwenden:

Time Delay in Millisekunden =
Entfernung in Meter / 343 m/s * 1000
oder
Entfernung * 2,91

Abstand in MeterZeit in Millisekunden
514,5
1029,2
1543,7
2058,3
50145,8

Um noch eine Stufe akkurater zu werden, benötigen wir zusätzlich die aktuelle Umgebungstemperatur. Mit Hilfe dieser berechnen wir zunächst die tatsächliche Schallteschwindgkeit c [m/s] = 331,4 + (0,6 * Temperatur) und setzen c anstelle von 343 m/s in die schon bekannte Formel ein.

Time Delay in Millisekunden = Entfernung in Meter / Schallgeschwindigkeit * 1000

Hallo Herr Haas

Die bisher ermittelte Verzögerung ist technisch korrekt, unterschlägt jedoch das Gesetz der ersten Wellenfront, auch bekannt als Präzedenz-Effekt. Dieser besagt: „Trifft das gleiche Schallsignal zeitverzögert aus unterschiedlichen Richtungen bei einem Hörer ein, so nimmt dieser nur die Richtung des zuerst eintreffenden Schallsignals wahr“ (Quelle Wikipedia).

Um die Lokalisierung stets auf der der Bühne zu halten, muss das Signal der Nullzeit vor der Line Delay bei Ohr des Hörers eintreffen, die einzustellende Verzögerung ist immer etwas länger als die eigentliche Laufzeit. Laufzeit + X = perfektes Ergebnis.

Versuche von Helmut Haas aus dem Jahre 1951 ergaben hierzu eine Bereich zwischen 10 und 30 ms der einzelne Lautsprecher zu einem großen Lautsprecher „verschmilzt“, so dass alleine die Hauptlautsprecher als Signalquelle erscheinen.

Addiere zur tatsächlichen Laufzeit 10-30 ms um die Lokalisierung zu steuern

Lautstärke des Delays

Ob wir die Delay Line als eigenständige Lautsprecher oder unsichtbare Hilfsquelle wahrnehmen, bestimmt neben der Laufzeit auch die Lautstärke.

Als stützendes Element sollten verzögerte Lautsprecher in ihrem Einsatzbereich etwas leiser oder maximal gleich laut wie die Main PA erklingen. Dies ermitteln wir entweder über Messungen oder frei nach Gehör.

Muss ein Pegelverlust aufgeholt werden, kann die Delay Line unter idealen Bedingungen auch bis zu 10 dB über dem Hauptsystem liegen und dennoch verbleibt die Lokalisierung auf der Bühne.

HowTo
Gib ein Rosa Rauschen auf die Main PA und steigere die Lautstärke langsam, bis du im gewünschten Bereich etwa 84 dB(a) mit einem SPL-Meter erreichst. Schalte nun die PA stumm und gib Signal auf das Delay, bis das Messgerät den selben oder einen leicht geringeren Wert anzeigt.

Umsetzung

Je nach Setup und vorhandener Hardware führen mehrere Wege zum Ziel. Bei nur wenigen Delay Lines und einem entsprechenden Digitalpult konfigurieren wir die Verzögerung und Lautstärke am einfachsten in den Ausgangskanälen, zum Beispiel einer Matrix des Mixers. Der Abgriff erfolgt nach dem Master Fader um das einmal eingestellte Lautstärkeverhältnis beizubehalten. Dank Wifi App Fernsteuerung können wir alle Feinheiten gemütlich vor Ort einstellen.

Die weitere Möglichkeit ist eine Verzögerung im Verstärker oder in der Systemendstufe mit DSP. Jeder Eingang erhält in diesem Fall das selbe, unverzögerte Summensignal, Lautstärke und Zeit programmieren wir individuell für die gewünschten Lautsprechergruppen in den Ausgängen.

Wer hingegen noch „klassisch“ mit normalen Endstufen oder analogem Pult unterwegs ist, kann 19″ Delays in der Signalkette verwenden. Dabei sollten Paramter wie Feedback oder Modulation auf Null beziehungsweise ausgeschalten werden, so dass wir nur das reine, verzögerte Signal erhalten.

Line Delay Plugin
Ein einfaches Line Delay Plugin

Für besondere Anwendungen oder als einfacher Work-Arround können auch Lautsprecher Management Systeme oder spezielle Delay Line Controller zum Zuge kommen. Letztere besitzen teilweise sogar eingebaute Temperatursensoren um die Verzögerung der tatsächlichen Schallgeschwindigkeit anzupassen.

Tipp: Viele Delays lassen sich von Millisekunden auf Meter umstellen, so entfällt das Kopfrechnen. Das Fine-Tuning und die Haas-Zeit sollte aber in jedem Fall nach Gehör und nicht nach Zahlen geschehe

Beispiele

Der Abstand zwischen Main PA und Delay Line beträgt 12 Meter. Die rein technische Verzögerung auf Grunde der Schalllaufzeit ist 36 ms. Um die Lokalisierung in Richtung der Bühne zu verschieben addieren wir grob 10 ms und erhalten eine finale Verzögerung von 46 ms.

Die bereits sehr laute Backline befindet sich 5 Meter hinter der PA. Daher verzögern wir die PA samt Subwoofer um etwa 15 + 10 ms.

Es wird nie perfekt

Die einmal gefundene Delay Time deckt in der Praxis meist einen recht großen Bereich ab und führt in diesem zu einem deutlich verbessertem Ergebnis. In der Theorie benötigt natürlich jeder einzelne Abhörpunkt eine andere ideale Verzögerungszeit, da die Abstände und damit die Laufzeiten minimal variieren.

Sollten deutlich Echos hörbar werden, hilft eine verringerte Verzögerung oder an dieser Stelle eine zusätzliche Delay Line.